Von der Single-Börse in den Schnupper-Tanzkurs
von: Julius | aktualisiert am: 9.03.2014Hilflos stehen meine Tanzpartnerin und ich nebeneinander und setzen artig die Füße vor- bzw. hintereinander, wie uns geheißen. Auch mal zur Seite und wieder zurück. Dabei wollen wir uns anfassen, den anderen fühlen, uns spüren…
Ich will das und ich hoffe, Anna geht es genauso. Geht es?
Ping, Ping, Ping – Eins, Zwei, Drei – Eins, Zwei, Drei. Der erste Schlag mit den Klanghölzern ist lauter als die anderen, der Zweite zu spät, der dritte zu früh – mit dem ersten ist dann alles wieder im Lot.
Zum Glück ist das völlig unerheblich, denn wir sind mehr mit unseren Füßen beschäftigt, als mit der Tanzlehrerin.
Ich kenne Anna jetzt vielleicht drei Stunden. Gefunden haben wir uns im Internet auf einer dieser Single-Börsen. Ich hatte mich gerade wieder abgemeldet, da kam diese Nachricht von ihr. Das Foto konnte ich nicht mehr sehen, ich hatte ja gekündigt. Aber bei kostenloser Mitgliedschaft – Profil löschen geht gar nicht – konnte man eine einzige Nachricht senden und ich so noch antworten.
Wenn schon, denn schon, dachte ich mir. Was Anna schrieb, hatte mir gefallen. Und sie war so unkompliziert! Also zum Schnupperkurs in die Tanzschule. Eine Stunde Salsa, eine Stunde Tango. Ein Sonderangebot.
Keine Zeit verplempern mit Kaffeetrinken oder Essengehen. Erst 2 Stunden auf der Wiese um die Ecke, mit Decke und kleinem Picknick, das Anna liebenswürdiger Weise mitgebracht hatte – dann tanzen lernen.
Nun stehen wir also hier im Tanzsaal. Ich gebe heute zu, das war nicht mein erster Tanzkurs. Damals hätte ich einen Teufel getan! Tanzen konnte ich trotzdem nicht.
Endlich dürfen wir uns berühren und in Tanzhaltung paarweise Aufstellung nehmen. Ping, Ping, Ping. Nicht sonderlich romantisch, aber immerhin. Anna riecht gut. Ihre Hände sind ein bisschen rauh und kalt wie ein Kühlakku.
„Partnerwechsel!“ dröhnt es bedrohlich in meinen Ohren. Auch das noch! Ungläubig schauen wir uns an. Erst Anna und ich. Dann in die Runde. Überall die gleiche Fassungslosigkeit. Nur Dirk ist schon fröhlich zur nächsten Dame gesprungen. Ist wohl auch nicht sein erster Tanzkurs und seine Tanzpartnerin heute vermutlich nicht das, was er erhofft hatte.
Meine Versuche, den Partnertausch wenigstens für uns zu verhindern, werden von der Tanzlehrerin eher als Störung des Tanzunterrichts wahrgenommen, denn als mein Versuch, meiner Tanzpartnerin nahe zu sein. Es gibt keine Gnade, wir müssen tauschen.
Gabi schwitzt und ist ganz aufgeregt. Sandra ist die Freundlichkeit in Person. Beate quatscht in einem fort, was ihrem Tanzen nicht gerade zuträglich ist. Und Nicole bekommt kein Wort heraus und starrt unentwegt auf ihre Füße. Hallo? Bin ich auch noch da? Ich störe doch nicht? So geht es Reihum.
Dann kommt Julia! Julia ist hübsch und sympathisch nett dazu, wie sich schnell heraus stellt. Eine einzige Berührung unserer Hände braucht es nur, um wie elektrisiert zu sein… Ein fast vergebliches Vergnügen, schließlich war ich nicht allein hier. Aber eins, nach dem man süchtig werden kann!
Bis heute hoffe ich bei jeder neuen Tanzpartnerin auf genau diesen magischen Moment, wenn unsere Hände sich das erste Mal berühren… Manchmal beginnt der Traum von Neuem, manchmal wird die Tanzrunde mehr zur höflichen Pflicht.
Auch Anna halte ich zwischendurch mal wieder in den Armen, aber nur kurz. Zu kurz!
Inzwischen haben wir eine Phase erreicht, wo auch noch nach „Lernfortschritt“ ausgewählt wird. Weil Julia und ich mit dem Grundschritt keine Mühe haben, sollen wir weiter zusammen tanzen. Im Grunde ist mir das angenehm – wegen der hübschen Julia -, aber gegenüber Anna habe ich ich ein schlechtes Gewissen. Schließlich habe ich sie hier her geschleppt.
Jan, dem eigentlichen Partner von Julia, passt das gar nicht. Ein bisschen hilflos und zugleich fordernd schaut er immer wieder zu uns herüber. „Lass bloß die Finger von meiner Braut!“, will er mir wohl sagen.
Ich sehe Julia bei späteren Tanzkursen noch ein paar Mal. Aber entweder lugt Jan, ich warte auf „den richtigen Moment“ und verpasse manche Gelegenheit oder ich habe nicht den Mut, wenn es darauf ankäme, mich mit ihr allein zu verabreden. Schade! Mann kann ganz schön blöd sein…
Nun ist die erste Stunde vorbei. Ein Cocktail auf Kosten des Hauses an der Bar überbrückt die Pause bis zur Tango-Stunde. So ganz uneigennützig ist die Einladung aber nicht, wie sich schnell herausstellt. Eine freundliche und schon etwas ältere Dame geht von Paar zu Paar, lächelt wie ein Honigkuchenpferd und spricht jedes Paar an. Heute, wenn ich daran zurück denke, muss ich zwangsläufig an „Miss Mitzi“ aus „Darf ich bitten“ mit Richard Gere, Susan Sarandon und Jennifer Lopez denken.
Bald bekommen wir mit, dass die Dame die Paare überreden will, einen Halbjahresvertrag in der Tanzschule abzuschließen. Wir stehen ziemlich weit hinten und hoffen wie Straßenbahn-Benutzer ohne Fahrschein inständig, dass Kontrolleur „Miss Mitzi“ es einfach nicht schafft, bis zum Beginn der Tango-Stunde zu uns durchzukommen. Vergeblich…
Mühsam winden wir uns, „Miss Mitzi“ nicht unsere kurze Geschichte erzählen zu müssen. Du willst Du einer wildfremden Frau nicht auf die Nase binden, dass Du Dich aus einer Single-Börse kennst und das hier das erste Treffen ist. „Hat es Ihnen denn nicht gefallen?“, „Hatten Sie keinen Spaß?“ säuselt „Miss Mitzi“ und lächelt uns dabei vielsagend an. Aus der Nummer kommst Du ja kaum heraus…
Doch Anna ist auch nicht auf den Mund gefallen und lässt die Dame höflich abblitzen. Wow! Danke!
Die Stunde Tango Argentino hat dann so ziemlich jede Klischee-Vorstellung erfüllt, die wir vom Tango hatten. Leider, muss ich aus heutiger Sicht hinzufügen. Ich hatte schon einige Überredungskunst gebraucht, damit Anna auch der Tango-Stunde zustimmt. Sie wollte die erst partout nicht.
Mühsam haben wir uns den Grundschritt „erarbeitet“, der damals noch oft im Tango-Unterricht gelehrt wurde. Weil das für Tanz-Anfänger so viele Schritte auf einmal sind und wir von „Führen und Folgen“ nicht den blassesten Schimmer hatten, ging alles ziemlich durcheinander.
Romantisch war, dass Anna und ich nun die ganze Zeit gemeinsam tanzen konnten.
Dramatisch waren vor allem die Minen der Mit-Schnupperer. Einige schienen von Gericht zu dieser Stunde verurteilt worden zu sein. Als Wiedergutmachung für 10 x Falschparken vielleicht? Spaß hatten sie wohl nicht, Ihrem Ausdruck nach zu urteilen. Oder sie nahmen den Tango einfach zu ernst.
Schmerzhaft konnte die Tatsache sein, dass einige Herren sich nicht an die vorgegebene Tanzrichtung halten wollten und deshalb mit ihren Damen quer durch den Raum trieben wie ein Schiff ohne Steuer im Wind. Zusammenstöße waren vorprogrammiert, erst recht bei so unerfahrenen Tänzern wie uns.
Willkommen im Sinn unseres Kennenlernens war, dass Anna und ich ausreichend Gelegenheit hatten, unsere Leidens- und Konfliktfähigkeit zu testen. Manche eigentlich nicht vorgesehene Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere sorgte für die nun praktisch nachvollziehbare Erkenntnis, dass wo ein Körper ist, kein anderer sein kann.
Doch so richtig genießen konnten wir diesen intensiven Körperkontakt nicht.
Wir fanden das nämlich recht lustig und bestimmt haben wir uns ein bisschen albern benommen. Vielleicht waren auch die prozenthaltigen Bestandteile unserer Drinks mit dem Adrenalin des ersten Dates zu einer unheilvollen Allianz verschmolzen?
Jedenfalls wurden wir immer wieder mit bösen Blicken von einigen Mittänzern ermahnt und die Tanzlehrerin fühlte sich aufgefordert, uns mehr zur Seite zu stehen, als uns das lieb war.
Für uns war das ein lustvoller Zeitvertreib und das Tanzenlernen eher Mittel zum Zweck. Das sah die Tanzlehrerin natürlich ganz anders. Ein Anspruch, den ich später noch oft bei Tanzlehrern beobachten sollte.
Tango war damit erstmal durch!
Wie es mit Anna weiter ging? Anna ist eine tolle Frau! Wir haben uns noch eine ganze Weile immer wieder getroffen. Doch nie mehr beim Tanzen! Und irgendwann auch gar nicht mehr…