Traumstrand Berlin – Das typische Ende einer Milonga…
von: Julius | aktualisiert am: 16.05.2019Berlin. Die Sonntags-Milonga am Traumstrand in Berlin ist wieder eingestampft worden, obwohl die Anzahl der Besucher wohl grundsätzlich in Ordnung war – um hier nicht in Euphorie zu verfallen… Jetzt soll Salsa am Sonntag laufen? Die von mir geschätzten Mehreinnahmen: so um eine niedrige vierstellige Eurosumme pro Veranstaltung. Vielleicht ein bisschen mehr oder was weniger – vorausgesetzt, es rennen auch noch sonntags so viele Salsa-Tänzer hin, wie Tango-Tänzer da waren.
Gibt es Gastronomen, die meinen, man könnte mit einer Milonga „schnelles Geld“ machen? Ja, gibt es bestimmt! Ob die von Gastronomie Ahnung haben, weiß ich nicht. Von Tango und Tango-Veranstaltungen, wie Milongas, jedenfalls nicht. Gibt es Gastronomen, die auf das Wunderschöne, das Tango ausstrahlen kann, verzichten, weil Sie damit kein oder nicht genug oder nicht schnell genug Geld verdienen? Ja, gibt es auch, ganz sicher sogar!
Ein bisschen eine Idee von dem, was man will, gehört schon dazu, wenn man erfolgreich eine Milonga – nicht nur machen – sondern auch durchhalten will. Dazu muss man den Tango kennen – vielleicht nicht tanzen – wobei es dann schwer ist, Tango zu kennen, wenn man ihn nicht tanzt. Und eine Idee von Gastronomie, von Dienst am Kunden, gehört auch dazu.
Ich las davon, dass Tango-Tänzer sich ihre Getränke selbst mitbrächten? Ich weiß, dass Tango-Tänzer nicht so viel umsetzen, wie Salsa-Tänzer. Wobei einmal zu untersuchen wäre, ob wirklich die Salsa-Tänzer mehr umsetzen oder zu Salsa einfach mehr Leute kommen, die gar nicht so aktive Tänzer sind – und in Wahrheit die es sind, die mehr konsumieren. Das widerum könnte dem Gastronomen einen Hinweis geben, wie man auch beim Tango mehr Umsatz machen könnte…
Dem leicht gestrickten Gastronomen freilich wird’s egal sein. Macht er ne U 30 – Party oder was a la Ballermann, dürfte sich sein Umsatz glatt verdoppeln. Oder Fußball, public-viewing… Hach, wenn doch jeden Tag Fußball-WM sei – wird sich der Gastronom denken…
Stellt sich aber die Frage, warum ein Tänzer nicht so viel trinkt, wie der ballermann-affine Berufsjugendliche – oder nicht so viel Lagen schmeißt, wie der verwöhnte Felix-Jünger (Felix ist eine „besondere“ Diskothek in Berlin)? Nun, z.B., weil der Ballermann- oder Felix-Typ nicht so viel tanzt. Dadurch hat er Erstens mehr Zeit zu trinken und Einen auszugeben. Und Zweitens ist es nicht so wichtig, mit wieviel Promille er nach der Party auf dem Weg zur Tür das erste Mal die Tanzfläche betritt.
Wenn ich eine Tanzveranstaltung mache, sollte ich mich nicht wundern, wenn getanzt wird!
Nun kommt der Tänzer endlich aus seiner getränke- und umsatzfreien Zeit von der Tanzfläche. Er schwitzt, hat sich verausgabt, sein Bestes gegeben. Nur steht er am Traumstrand, bis sein Hemd wieder trocken ist, nach einem Drink an der Bar an – hört man. Das wird die nachfolgende Tanzpartnerin freuen, wenn der Tänzer nicht zuvor schon die Geduld verloren hat.
Kommt man von der Tanzfläche, mag man gern etwas trinken. Und zwar gleich, nicht nach 3 und nicht nach 6 Minuten. Spätestens dann wird der Tänzer sich nämlich schon wieder nach neuen Tanzpartnerinnen umsehen wollen. Und er mag auch nicht das laue Wasser von vor einer halben Stunde trinken wollen – das er sich ja hätte bestellen können, wenn er doch weiß, dass er nach x Tänzen unbedingt etwas trinken muss (davon abgesehen, dass man nicht auf der Tanzfläche ständig nach seinem Getränk sehen mag).
Hm… diesmal keinen Umsatz gemacht, der böse Tänzer, den man doch aber mit seiner Tango-Tanzveranstaltung ausdrücklich als Zielgruppe angesprochen hat und da haben wollte! Noch nicht mal eins von den sündhaft teuren Wässern, statt die im Vergleich geradzu preiswerten, allerdings nicht nur höherprozentigen Cocktails…
Man hörte auch von Tänzerinnen, die sich nach illustrer Tanzrunde erschöpft auf einem der freien Plätze niederließen und gern etwas zu trinken bestellt hätten – nur leider vergeblich auf ein herumschwirrendes, aufmerksames Bedienpersonal warteten. Und so kam dann irgendwann der nächste Freier, verging auch diese Pause getränke- und umsatzfrei…
Hat sich doch einmal ein Tänzer oder eine Tänzerin zum Gastronomen oder einem seiner Stellvertreter gewartet, reibt er (sie) sich verwundert sie Augen ob der Zahlen, die da auf der Getränkekarte stehen. Der Szene-Kenner wüsste jetzt, dass der Typus „gemeiner Tänzer“ nicht nur einmal in der Woche tanzen geht, sondern oft mehrmals. Überlegen wir, welches Budget dem Tänzer wöchentlich für sein Hobby zur Verfügung steht, teilt sich das durch die Anzahl der Veranstaltungen, die er besucht.
Oder wir rechnen mal anders herum. Setzt unser nichttanzender Freund von der Vielumsatz-Fraktion vielleicht 12, vielleicht 15 €, pro Veranstaltung um (durchschnittlich über alle Gäste – reine Hypothese), braucht der Tänzer – soll er den gleichen Umsatz pro Veranstaltung generieren – in der Woche schon 30 oder 45 €. Hinzu addiert sich allerdings der Tanzkurs, denn auch Meistertänzer fallen nicht vom Himmel. Sind wir nicht kleinlich und runden – also 50 € pro Woche = 200 € im Monat. Wenn der Tänzer nicht allein ist, sondern auch einen Partner oder eine Partnerin hat, generieren wir 400 € pro Monat. Ein Niedriglohnempfänger oder halbtagsarbeitender Tänzer würde also in diesem Monat nichts essen können…
Der Leser, dem 12 oder 15 € Umsatz am Abend nicht reichen, rechne mit höheren Zahlen! Und wer 200 € pro Monat für zuviel hält, breche jede andere Zahl auf den Umsatz pro Tanzveranstaltung herunter.
Allerdings gibt es noch einen anderen Ansatz. Der geneigte Gaststättenbesucher lässt sich nämlich gern verführen – wie mir befreundete Gastronomen immer wieder berichten. Verkaufe ich jetzt ein Getränk für 3,50 €, bei einem Materialeinsatz von 0,50 €, bleiben mir 3,00 € zur Deckung der Personal- und weiteren Kosten. Was „übrig“ bleibt, ist Gewinn. Verkaufe ich das gleiche Getränk für 2.90 €, bleiben wahrscheinlich 0,10 € für die Bedienung (was deren Motivation erhöht, Getränke zu verkaufen) und ich habe noch 2,40 € „übrig“. Vielleicht verkaufe ich dann aber 2 von diesen Getränken, statt einem? Nur so eine Idee… Gelingt das, habe ich dem Tänzer 4,80 aus der Tasche gezogen, statt 3 €. Und der Tänzer wird wahrscheinlich seinen Freunden erzählen, wie toll und preiswert gerade diese Lokalität ist. Der Tänzer spart sich reich! Obwohl er mehr ausgibt – kennt man doch…
Vorvorletzter Gedanke: Es gibt ja noch den Eintritt. Den wollte der Traumstrand aber nicht nehmen. Weil er jedoch ohnehin einen Aufpasser engagiert hat, der die Leute auf mitgebrachte Getränke kontrolliert, hätte er auch Eintritt nehmen können. Das freilich wäre jetzt auch wieder zu diskutieren – reichlich Platz für Kommentatoren und Mitdiskutanten…
Vorletzter Gedanke: Mit dem Tango (z.B., das Gleiche gilt für vieles Andere) holt man sich ein Stück Kultur in die Bude, man baut sich ein Image auf, einen Ruf – der wieder sorgt für neue Gäste. Allerdings nicht über Nacht. Da braucht es etwas Durchhaltevermögen und – zurück zum Anfang – eine Idee von dem, was man da tut.
Das freilich ist etwas komplizierter. Da muss man sich Gedanken machen, da muss man sich unterscheiden, sich abstimmen mit Anderen, flexibel sein, ideenreich – ein Konzept haben, das mehr ist, als nur Getränke zu verkaufen. Auch braucht man ausreichend Tanzfläche (!!!), auf der sich die Tänzer bewegen können…
Es gibt reichlich Beispiele, dass das funktioniert, denn Tango-Tänzer haben auf Grund ihrer Sozialstruktur mehr „Spielgeld“ zur Verfügung, als z.B. Salsa-Tänzer oder unser Freund, den wir zur Veranschaulichung in die Nähe des Ballermanns gerückt haben.
Zum guten Schluss, obwohl es noch so viel zu sagen gäbe: Nun ist es leicht, alle Zeigefinger, die man finden kann, auszupacken und auf den Tangotänzer zu zeigen!
Der böse, böse Tangotänzer! Kommt er doch tatsächlich zu der Veranstaltung, die für ihn gemacht war! Tanzt der auch noch, statt zu konsumieren! Konsumiert er dann, dann so viel, wie bei jeder anderen Milonga auch! Vielleicht etwas weniger, weil es so schwer ist, am Traumstrand ein Getränk zu ergattern? Vielleicht auch etwas weniger, weil er weiß, was ein Wein, ein Bier oder ein Wasser so an Materialeinsatz kostet – und ihm der Aufschlag etwas arg happig ist? Bringt sich Getränke selbst mit? Natürlich nicht in Ordung, aber ein Scheingefecht. Der Salsa-Tänzer ist da findiger, der geht hinüber zum Hauptbahnhof…
Kleinen Kindern sagt man gern, dass sich der Zeigefinger, mit dem man auf Andere zeigt, sich oft gegen Einen selbst richtet. Anderen empfiehlt man, lieber erstmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Oder auch gern genommen: Ein Hund beißt nie nach der Hand, die ihn füttert…
Der Gutsituierte, der mit seinen Freunden zum Traumstrand geht, weil es hipp ist, dort zum Tango zu gehen, wird freilich gar nicht erst kommen oder wieder gehen, denn Tango gibt es ja nicht mehr am Traumstrand. Leider!
Quellenangabe: Das Foto oben stammt vom Facebook-Profil der Veranstaltung. Fotograf war Michael Prytula. Alle Rechte liegen dort.
Hallo Julius,
alles richtig was du schreibst. Ein paar Dinge sind mir als Frau jedoch noch zusätzlich aufgestoßen:
1. Dadurch, dass der Eintritt frei war, sind eine Menge „Nicht-Tango-Tänzer“ dort herumgelaufen, die die Mädels ansprachen a là „Hey du da, kennen wir uns nicht irgendwo her???“ was super abstoßend ist.
2. Die Tanzfläche war nicht nur zu klein, sondern auch zu glatt, Gummimatten die in der Mitte durchhängen, na super!
3. Der Sand blieb beim Gang auf die Tanzfläche, wenn man nicht direkt von der Bar kam, so schön an den Füßen kleben und hat dann in den teuren Tangoschuhen wie Schmirgelpapier gescheuert…..
4. Die Aufforderungsitutation war so was von ungünstig, weil alle in ihren Liegestühlen hingen und man doch nicht drei Runden durch den Sand dreht um jemanden aufzufordern.
Tja, das haben dann wohl noch mehr Leute gestört…