Tanz-Tendenzen und Mysterien a la 2012
von: Karsten Heimberger | aktualisiert am: 10.03.2016Immer wieder mal ist zu hören, das Interesse am Tanzen würde abnehmen. Das erfahren wir in unserer redaktionellen Arbeit im Salsango-Magazin von Tanzschulen. Das sagen auch andere Fachleute.
Im Tanzsport Erfahrene berichten, dass die Zahl derer sinkt, die an Tanzturnieren teilnehmen.
Zugleich gibt es einen wahren Boom von z.B. Zumba® *, auch in Tanzschulen. Manche Sala-Tanzschule bietet heute schon mehr Zumba-Kurse an, als Salsa-Kurse…
Auch der Tango scheint sich steigender Popularität zu erfreuen.
Vor Kurzem hörte ich zwei Interviews mit ehemaligen Spitzensportlern aus anderen Sportarten, die auch die sinkenden Zahlen der Aktiven im Nachwuchs beklagten.
Der Eine machte dafür die allgemeine Bevölkerungsentwicklung verantwortlich, die eben auch am Sport nicht vorüber ginge.
Der Andere (heute Nationaltrainer) meinte, es sei oft nicht attraktiv für Kinder und Jugendliche (und später Erwachsene – Anm. d. Red.), sich in den langwierigen, intensiven und manchmal auch quälenden Prozess eines Spitzensport-Trainings zu begeben. Es gäbe fast unüberschaubar viele Freizeitangebote, in denen man schnell und leicht Zerstreuung und Entspannung finden könne.
Eine allgemein lange im Raum stehende Theorie war auch die Chance des sozialen Aufstiegs als Motivation, Spitzenleistungen im Sport oder der Kunst anzustreben. Das greife in nicht so wohlhabenden Ländern stärker, als in den hiesigen. Im Einzelfall wird das stimmen. Doch gibt es inzwischen Untersuchungen, die das pauschal nicht bestätigen.
Als ich das erzählte, erinnerten wir uns in der Redaktion an ein Interview mit Joachim Llambi, das wir vor über einem Jahr geführt hatten. Der sagte damals auf die Frage nach dem Nachwuchs: „… Die jungen Leute wollen sich frei bewegen, wollen einfach Spaß haben. Die brauchen nicht mal unbedingt einen Partner zum Tanzen, wenn sie Hip Hop, Salsa oder was auch immer machen. Deshalb sind diese Tänze sehr stark im Kommen. Ich glaube sogar, dass die Anzahl derer, die das Latein- oder Standardtanzen betreiben, in Zukunft noch ein wenig sinkt.“
Nun wollten wir es genauer wissen. Die Schwierigkeit bei solchen Betrachtungen ist aber, das man die richtigen Fragen stellen muss, um nicht am Ende Trugschlüssen zu unterliegen – oder dem Motto zu folgen: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“ (frei nach Churchill – doch selbst das kann inzwischen nicht mehr als gesichert angehen werden).
Allgemeine Tendenzen in Sport und Kultur
Am schnellsten war die Theorie mit der Bevölkerungsentwicklung widerlegt, also dass die Anzahl der Aktiven den sinkenden Geburtenraten folgt. Die Tatsache an sich ist bekannt. Doch, sinkt deshalb auch die Zahl der Sportler oder Tänzer? Dem gegenüber steht nämlich, dass die Menschen hierzulande nie mehr „Freizeit“ verbracht haben und nie mehr Geld dafür hatten und auch ausgeben. Sogar die Ausgaben für die staatliche Förderung von Kunst, Kultur und Sport steigen **, auch wenn man aus Einzelhaushalten (z.B. regionale, vor Ort) ganz andere Zahlen kennt.
Ein tieferer Blick in die Statistiken *** zeigt dann, dass die Zahl der Vereine und die der organisierten Freizeitsportler insgesamt tatsächlich steigt – und nicht etwa sinkt! Der Vereinsfußball hat sogar überproportional steigende Mitgliederzahlen. Es gibt aber auch „Verlierer“ – z.B. Tennis – wenn auch nicht so dramatisch, wie wir vermuteten.
Nun ist Tanzen aber (auch) Kultur. Also schauen wir dort einmal genauer hin: Auch in der Kultur gibt es insgesamt mehr Interessenten und Organisierte, mehr Veranstaltungen und Institutionen. Lediglich die Zahl der Bibliotheken hat sich dramatisch verringert und die Zahl der Chorsänger leicht. Natürlich würde ein detaillierter Blick hier und da mehr Verschiebungen zeigen. Aber die Tendenz ist eindeutig, wie die steigende Zahl der Museumsbesucher, der Theaterbesucher oder der Musikschüler zeigt.
Weil das Tanzen allgemein nur selten von den großen Statistiken erfasst wird, haben wir beim ADTV nachgefragt. Der aber hat keine Zahlen oder will sie uns nicht geben. Noch nicht einmal eine Antwort haben wir auf unsere Anfrage erhalten. Schade!
Bleibt der Blick auf die Angebote der Tanzschulen und Sportvereine (einschließlich der des Tanzsports), auf deren z.B. Attraktivität oder die angedeuteten Verschiebungen der Motivation, sich intensiv einem Hobby oder gar einer ernsthaften sportlichen „Karriere“ zu widmen – und manches drumherum.
Die steigenden Fußballerzahlen deuten an, dass es sich wohl nicht um ein Mysterium handelt. Der enorme Erfolg von Zumba auf der anderen Seite scheint (auch) die Worte von Joachim Llambi zu bestätigen (siehe oben) – wobei widerum der Fußball auch das Gegenteil belegt, weil dort ein Höchstmaß von Gemeinschaft und Organisation nötig ist.
Wie weiter beim Tanzen?
Die Sache ist also komplizierter und zudem differenziert zu sehen. Statt den einfachen Weg zu gehen und sich zu ergeben, sollten wir uns vielmehr anschauen, was dem Tanzen, den Tänzen, den Tanzschulen, den Tanzsport-Vereinen eigen ist und was man verbessern kann. Dazu gehört freilich ein detaillierterer Blick auf die Tatsachen und Ursachen.
Damit haben wir begonnen und werden in der nächsten Zeit weitere Betrachtungen dazu veröffentlichen.
Der Tango z.B. erfreut sich gar nicht so eines Zulaufes, wie wir auf Grund unseres im Redaktions-Alltag gewonnen Eindrucks vermuteten. Das Interesse am Tanzen und an Tanzschulen allgemein schwankt in unterschiedlicher Weise um einen Mittelwert herum. Die Salsa hingegen musste tatsächlich in Deutschland einen Einbruch hinnehmen. Sind das auch internationale Tendenzen oder nationale Spezifika?
Woran liegt das und was kann man verbessern?
Wir haben einige Antworten… wollen aber vor allem eine Diskussion anregen, im Interesse des Tanzens und aller Beteiligten.
Jeder ist deshalb herzlich willkommen, der hier als Kommentar seine Meinung, Erfahrungen und Ideen hinterlässt – oder einen eigenen Artikel veröffentlichen möchte!
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Anmerkungen:
* Zumba® ist ein aerobic-ähnliches Sportprogramm auf Basis überwiegend lateinamerikanischer Musik und solcher Tanzschritte
**“Land und Leute 2009″ – Statistisches Bundesamt
***aus dem Statistischem Jahrbuch 2011 des Statistischen Bundesamtes
Bildquelle: Das Foto oben stammt von Karina / pixelio.de. Alle Rechte liegen dort.