La Bicicleta im Gespräch: Neue CD Tango progresivo, die Band, die Pläne, Ideale und Wünsche
von: Sven Goldmann | aktualisiert am: 2.04.2014La Bicicleta, das Tango-Trio aus Berlin hat eine neue Tango-CD „Tango Progresivo“ veröffentlicht. Wir haben aus diesem Anlass bei einem vorbereitetenden Konzert mit den sympathischen Musiker gesprochen, sie zu ihrer neuen CD befragt und über Weiteres rund um La Bicicleta und den Tango ganz allgemein.
La Bicicleta sind Javier Tucat Moreno (Klavier), Judith Brandenburg (Bandoneon) und Carolina Mazalesky (Geige) – alle Drei mit beachtenswerten Biografien, die Ihr auf der Homepage der Band geauer nachlesen könnt (Link am Ende des Interviews).
Salsango: Ihr habt heute Abend einige Titel von Eurer neuen CD „Tango Progresivo“ gespielt. Könnt Ihr uns kurz etwas zu Eurer neuen CD erzählen?
Javier: Wir wurden nach Live-Auftritten, ob konzertant oder bei Milongas, häufig gefragt, ob wir denn auch eine CD mit unserer Musik hätten. Die Leute hatten Spaß, danach zu tanzen, doch Sie konnten unsere Musik nicht in aller Ruhe zu hause hören. Dazu kam, dass wir unbedingt den Klang, den wir für unsere Musik entwickelt hatten, auf eine CD bringen wollten.
Als es dann konkret wurde, wollten wir auf keinen Fall nur eine Ansammlung von Tangoliedern auf eine CD bringen. Wir überlegten uns: Was ist unser Merkmal? Was macht uns aus?
Die Songs auf der CD sind daher keine Arrangements von klassischen Tangoliedern, sondern in erster Line unsere eigenen Kompositionen, denn wir wollten unsere eigene Kreativität zeigen und präsentieren. Die meisten Stücke hat übrigens Judith Brandenburg komponiert.
Judith: Die CD ist eine Momentaufnahme! Das ist jetzt unser Stil, so möchten wir uns zeigen. Auch der Zeitpunkt für die Veröffentlichung ist gut, denn jetzt haben wir genug eigene Songs, um eine gute Auswahl für die CD zu treffen. Wir haben und spielen live natürlich weitaus mehr Songs, als auf der CD zu hören sind. Insofern ist die CD auch ein gutes Arbeitsmittel für uns gewesen, um herauszufinden, was und wie wir uns weiter entwickeln möchten.
Caroline: Bei der Arbeit an der CD hat uns auch unser Tonmeister ganz wunderbar geholfen. Er hat uns z.B. erzählt, dass viele Bands erst eine CD aufnehmen und dann im Anschluss starten sie ihre Konzerte. Bei uns ist dies genau andersherum. Wir sind schon seit einer ganzen Weile ein festes Ensemble und wissen inzwischen genau, welchen Klang unsere Stücke haben sollen. Unsere CD ist also das Resultat unserer Erfahrungen als Bühnenmusiker. Es ist zwar erst unsere erste CD, doch ich glaube, unsere Musik ist schon so reif, als wenn wir schon zwei oder drei CD´s aufgenommen hätten.
Salsango: Judith, 2006 hast Du das Orquesta de Tango „Qué Tangazo“ gegründet, in dem ihr drei, gemeinsam mit weiteren vier Musikern, sehr aktiv seid. Warum hab ihr daneben noch das Trio „La Bicicleta“ ins Leben gerufen?
Judith: Gute Frage! „Qué Tangazo“ wird in allererster Linie für große Festivals nachgefragt und es geht dort vorrangig um das Interesse an traditionellen tanzbaren Tango´s. Wir drei haben darüber hinaus eine große Schwäche für Experimente und Entwicklung. Ursprünglich kam man zu uns mit der Anfrage, in einer kleinen Gruppe zu spielen. Also traten wir drei zusammen auf und merkten schnell, dass schon die Repertoireauswahl eine ganz andere war, als im großen Orchester. In der Folge wollten wir das weiter entwickeln und haben erst einige Stücke von mir dazu genommen, später dann einige von Javier. Die Zusammenarbeit wurde immer intensiver, bis hin zu dem Schritt, nur noch unsere eigene Musik zu verfolgen. Eine mögliche Konkurrenzsituation mit dem Orchester „Qué Tangazo“ hat es freilich nie geben, denn für Veranstaltungen, für die ein großes Orchester nachgefragt wird, ist ein Trio nicht interessant.
Salsango: Bisher konnten Euch die Tangointeressierten fast ausschließlich in Berlin und der unmittelbaren Umgebung live spielen hören und sehen. Gibt es Pläne für eine größere Konzert-Tour durch Deutschland und andere Länder?
Javier: Ja! Bald werden wir, allerdings nicht im Rahmen einer Tour, z.B. in Bochum, Erfurt und Neuötting (bei München) spielen. Im August fliegen wir dann nach Argentinien und Paraguay, um dort in verschiedenen Städten Konzerte zu geben. Dahin starten wir am 4. August und sind etwa einen Monat dort unterwegs. So haben wir zum Beispiel Einladungen nach Buenos Aires, um dort bei einigen der berühmten Milongas zu spielen. Zusätzlich stehen noch Auftritte in kleineren und größeren Konzertsälen auf dem Programm.
Für uns ganz besonders interessant ist ein Tangofestival in Paraguay. Genauere Tourdaten werden wir Euch noch geben, so bald wir sie haben. Gleich im Anschluss daran, werden wir auch an einer Tournee durch Deutschland arbeiten. Doch in Moment konzentrieren wir uns ganz auf Südamerika und auf unsere CD.
Salsango: Carolina, Du warst bereits Konzertmeisterin der Symphonie-Orchester General San Martín von Buenos Aires und des Symphonischen National Orchester von Paraguay. Kannst Du uns kurz etwas aus dieser Zeit erzählen und warum Dich dein Weg nun nach Berlin geführt hat?
Caroline: Weil ich aus Buenos Aires komme, hatte ich schon immer die Lust und die Liebe zum Tango. Ich habe sehr früh angefangen, mit meiner beruflichen Tätigkeit. Natürlich habe ich mit einer klassischen Ausbildung angefangen und hatte bereits mit 17 meine erste Stelle in einem Orchester und ja, ich wurde dann auch Konzertmeisterin. Doch irgendwann habe ich mich gefragt: Das kann doch nicht alles sein! Ich bin zu jung, um hier im Orchester mein ganzes Leben zu verbringen. Ich muss noch etwas anderes machen! Darum habe ich meine sehr gut bezahlte Stell aufgegeben und mich auf den Weg nach Europa gemacht und bin hier in Berlin angekommen.
Salsango: Apropo jung – Der Tangomusik hängt der Ruf nach, sie könne das junge Publikum nicht recht begeistern und erreichen. Uns liegt sehr am Herzen, den Tango auch einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Wie sind Eure Erfahrungen mit dem jungen Publikum?
Judith: Eigentlich super! Wir spielen oft auf Veranstaltungen, die nicht den Charakter einer Milonga haben. So waren wir zum Beispiel auf dem Karneval der Kulturen, wo ja jeder hinkommt. Die Resonanz war enorm! Gerade bei Stücken wie unserem „Tango Neuköln“ bewegen wir uns schon ein Stück weit aus dem Tango heraus und ich glaube nicht, dass man immer und unbedingt sagen wird: Aah, das ist jetzt ein Tango! Es ist einfach eine sehr impulsive, wilde Musik die auch viele junge Menschen anspricht. Also unsere Erfahrungen sind schon sehr gut und ich hoffe, es kommen noch mehr.
La Bicicleta – Steckbrief
Kommen wir zu unserem Steckbrief – einige kurze Fragen um Euch noch etwas besser kennen zu lernen.
Salsango: Was bedeutet Euch die Tangomusik?
Javier: Eine sehr wichtige Frage für uns! Ich habe die Tangomusik immer als eine musikalische Sprache einer ganzen Kultur verstanden. Tanz, Lyrik (also Gedichte) und Musik – alles hat unglaublich viel zu tun mit Art zu sein, besonders von den Leuten aus den größeren Städten wie Buenos Aires, Rosario, Montevideo. Uruguay spielt nämlich auch eine große Rolle in der Geschichte des Tango, was viele hier gar nicht wissen.
Ich selbst bin in Buenos Aires geboren und für mich ist der Tango Synonym für eine Stadtkultur. Tango ist keine Folklore, keine ländliche Musik. Mit der Sprache des Tangos kann man auch ganz wunderbar etwas anderes erzählen und darum kann man als Tango auch ganz andere Musik bezeichnen, die nicht unbedingt die Struktur eines traditionellen Tangos aus den 1940-er Jahren haben muss.
Judith: Sehr schön gesagt! Es ist auch meiner Meinung nach wirklich die Sprache, die den Tango ausmacht: Du machst eine direkte Aussage!
Was mich daran so fasziniert, ist das besondere Gefühl, welches mich durchströmt, wenn ich Tango spiele. Am besten beschreiben lässt sich das wohl so:
Wenn ich andere Musik für Publikum spiele, dann ist es so, als wenn ich hinter Glas sitze, die Sonne scheint, doch sie wärmt mich nur – ich habe sie nicht auf der Haut. Und wenn ich dann Tango spiele, dann ist das Fenster weit offen und ich nehme die Sonne in mir auf, mein Haar riecht nach Sonne und ich schmecke die Luft. Doch, zu viel und sie verbrennt mich. Das ist für mich Tango!
Man kann den Tango auch musik-theoretisch ausdrücken – es gibt bestimmte Parameter, rhythmische und melodische, die den traditionellen Tango ausmachen und die man auch im modernen Tango oder im Elektrotango wieder findet. Aber es gibt eben auch genau so eine emotionale Ebene, die viel schwerer zu beschreiben und sehr urban ist.
Caroline: Ich möchte noch ergänzen, dass wir Argentinier genau die gleiche Sprachmelodie haben, wie sie auch in den Noten steht. So wie ich das sagen oder singen würde, so muss die Musik sein. Wenn in Tangos gesungen wird, ist das noch deutlicher. Ich selbst habe den Tango bei meinem Vater, einem Tangosänger – der mich immer mit zu seinen Auftritten genommen hat – kennen und lieben gelernt.
Salsango: Was würdet Ihr gern unbedingt einmal machen – genügend Geld, Zeit und Gelegenheit vorausgesetzt?
Judith: Meine privaten Wünsche decken sich mit denen innerhalb des Trios La Bicicleta! Ich würde gerne alles andere hinschmeißen und von dem Geld leben wollen, um diese Musik weiter zu schreiben, damit wir sie spielen können. Genau dies wäre mein Wunsch!
Salsango: Was tut Ihr, wenn Ihr entspannen möchtet?
Javier: Allein, oder als Trio? (…und lacht) – Also ich, ich meditiere!
Caroline: Ich bin ein Mensch, der 24h im Bett liegen und einfach nur die Decke ansehen und über mein Leben nachdenken kann. Das mache ich tatsächlich sehr gerne.
Judith: Wahrscheinlich spiele ich „Die Siedler von Catan“ mit meinem Sohn…
Javier: …dabei kannst du entspannen? Wirklich? Ich nicht, ich verliere immer!
Salsango: Was ist typisch deutsch für Euch?
Caroline: (Antwort wie aus der Pistole geschossen!): Currywurst!
Javier: Organisation! Die Leute hier in Deutschland organisieren sich unglaublich gut, egal für was.
Judith: Ich versuche es mal so: Mein Sohn hat eine Projektgruppe in der Schule und die beschäftigen sich mit den vier Elementen. Eine Gruppe hatte, ganz logisch, das Thema: Feuer! Ich habe die Mädchen also gefragt: Und, habt ihr Feuer gemacht? – Antwort: Nein, wir haben vor allem die Sicherheitsbestimmungen gelernt! (…und alles lacht!)
Javier: Sehr schön und wahr, Deutsche können sehr gut Bedienungsanleitungen befolgen! Aber das ist ja auch ein Teil von der Organisation.
[aartikel]3803126398:right:salsango-21[/aartikel]Salsango: Welches ist Euer liebstes Buch und warum?
Caroline: Ich lese so viel, da kann ich gar nicht genau sagen, welches nun ausgerechnet mein liebstes Buch ist.
Ich war vor kurzem in Paris und ich habe gelesen, dass Buenos Aires die Welthauptstadt des Buches ist; das wusste ich bis dahin gar nicht! Ich glaube, argentinische Literatur ist wie ein Diamant, den nur wenige Menschen kennen. Ich denke da gerade an einen Klassiker der argentinischen Literatur: „El tunel“ von Ernesto Sabato.
[aartikel]3423206616:left:salsango-21[/aartikel]Judith: Oh je, ich habe auch ein großes Lesepensum und Autoren und Thema wechseln ständig. Allerdings von Henning Mankell – Die „Wallander“ Romane. Einen menschlicheren Kommissar kann es nicht geben.
[aartikel]3442101948:right:salsango-21[/aartikel]Javier: Das Buch, das ich bereits mehrmals gelesen habe und das ich nur jedem Künstler empfehlen kann, ist „Shout“. eine unglaublich gute Biographie der „Beatles“. Besonders als Musiker, muss man dieses Buch gelesen haben, finde ich! Alles, was man so als Musiker erlebt, haben die Beatles auch erlebt! Jeden einzelnen Schritt haben sie dort aufgelistet und man gut nachempfinden, wie sie am Anfang vor ganz, ganz wenigen Leuten gespielt haben und auch mal ausgebuht wurden, oder mit sehr wenig Geld nach hause gekommen sind. Ebenso das Wechselbad der Gefühle – plötzlich Erfolg, dann Absturz, dann wieder Erfolg usw. Das Buch kann ich wirklich nur empfehlen!
Salsango: Worin sehr Ihr für Euch die größte Herausforderung der kommenden Jahre?
Judith: Was ich ganz wichtig finde, nach jedem Schritt den ein Ensemble macht – reflektieren, ob alle noch zufrieden sind mit diesem Schritt und gemeinsam den nächsten Schritt suchen und festlegen, und nicht einfach rumstolpern. Rumstolpern ist etwas ganz schlimmes und daran gehen leider viele Gruppen kaputt. In welche Richtung? Das ist erstmal egal, aber immer wieder schauen, sind wir – wir.
Javier: Genau, sich selber treu zu bleiben und nicht ständig etwas hinterher zu rennen, was scheinbar Erfolg bringt. Mach die Dinge, die dir am Herzen liegen und bei denen du dich wohl fühlst!
Caroline: Ich will mein Studium beenden! Doch vor allem bin ich hier nach Deutschland gekommen, um mich besonders als Geigerin weiter zu entwickeln; damit ich immer mein Bestes geben kann. Hier in Deutschland habe ich gelernt, mich mehr auf mich und meine Fähigkeiten zu konzentrieren und nicht ständig nur nach der Konkurrenz, die hier wirklich sehr stark ist, zu schielen und mich davon ablenken zu lassen. Genau das ist mir sehr oft in Südamerika passiert.
Salsango: Was wird sich in der nächsten Zeit als Trend im Zusammenhang mit der Tango – Musik, dem Tanz und der Tango-Szene entwickeln und warum?
Javier: Ich wünsche mir, dass sich der Trend fortsetzt und sich verfestigt, moderne, aktuelle Musik zu komponieren. In den vergangen Jahren und Jahrzehnten kam zwar auch schon einiges auf den Markt, doch muss man immer gegen Vorurteile und veraltete Vorstellung von der Tangomusik kämpfen.
So denken viele, dass die Entwicklung der Tangomusik mit Astor Piazzolla zu Ende gewesen sei. Es gibt aber heute eine Menge toller Komponisten, junge Leute, die neue Sachen schreiben und produzieren.
Ich hoffe, diese Tendenz, sich etwas zu trauen, weg von alten Vorstellungen hin zu neuen Sachen, wird sich weiter fortsetzen. Damit meine ich nicht immer nur experimentelle Dinge, sondern auch traditionelle Tangomusik mit dem heutigen Zeitgeist zu verbinden. Und ich hoffe, dass sich auch die Tänzer immer mehr danach sehnen und neugierig werden, auf diese neuen Sachen.
Judith: Ich sehe heute schon sehr viel mehr Offenheit bei den Musikern, als noch vor ein paar Jahren. Als ich vor etwa zehn Jahren anfing, war Elektrotango noch ein Schimpfwort und es gab dann eine CD von „Gotan-Project“ und noch eine weitere. Ja, und das war es dann aber auch… Heute dagegen herrscht eine sehr große Vielfalt, gerade auch aus anderen Richtungen – Fusiontango, Elektrotango, Tango Nuevo usw..
Viele Tänzer hingegen favosisieren oft noch den traditionellen Tango. Dabei merken wir, dass die Musik, die Sprache des neuen Tango, funktioniert. So spielen wir oft im ersten Set ganz traditionellen Tango und die Leute fangen an zu tanzen. Wenn wir dann im Laufe des Abends wechseln, tanzen dieselben Tänzer immer noch. Daran sieht man, dass der moderne Tango genauso funktioniert und sich viele nur an Namen stoßen.
[aartikel]B00532EJWU:right:salsango-21[/aartikel]Salsango: Vielen Dank für das Interview. Alles Gute für Euch und besonders die neue CD „Tango progresivo“!
Mehr über La Bicicleta erfahrt Ihr auch auf deren Webseite (Link vorn). Dort gibt es die CD auch physisch zu kaufen. Der amazon-Link rechts führt zu einer mp3-Download-Möglichkeit.
Aktuelle Konzert-Termine von La Bicicleta werden wir extra veröffentlichen!
Schaut z.B. zum Artikel über das Record-Release-Konzertvon La Bicicleta am 8. Juni 2011 in Berlin zur Langen nach der Bibliotheken.
Quellenangabe:
Das Gespräch hat Sven Goldmann im Anschluss an ein Konzert im Zimmer 16 in Berlin-Pankow geführt. Von ihm stammen auch die Fotos oben. Das Gespräch liegt der Redaktion als vollständiges Tonbandprotokoll vor. Der Text ist eine redaktionell überarbeitete Essenz aus dem Gespräch. Sinn und Inhalt der Anworten sind unverändert.